Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat den vorhabenbezogenen Bebauungsplan (VEP) außer Vollzug gesetzt und interessante Aussagen zu den Anforderungen an die Bestimmtheit von VEP getätigt.
Diese Entscheidung erging unabhängig vom Vortrag des klagenden niedersächsischen NABU und erinnert in frappierender Weise an die ersten Verhinderungsargumentationen, die seit 2003 bundesweit für einen bloß schleppenden Ausbau der Windenergie gesorgt haben und erst seit Beginn der „Ampelkoalition“ langsam enden.
Der 1. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts hat den vorhabenbezogenen Bebauungsplan „Solarpark Tiste“ vorläufig außer Vollzug gesetzt (Az.: 1 MN 161/23), weil er das Landschaftsbild erheblich beeinträchtigt sieht und die Funktion als Lebensraum für zum Teil stark gefährdete Brut- und Rastvögel nicht ausreichend durch Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen gesichert sei.
Der Sachverhalt: Multimegawatt-Solarpark in Wiesenvogelschutzprojekt
Gegenstand des vorhabenbezogenen Bebauungsplans ist die Errichtung eines Solarparks mit einer Größe von ca. 2,5 x 0,3 km und einer Leistung von über 50 MW in der freien Landschaft. Das Plangebiet liegt im Bereich eines Wiesenvogelschutzprojektes, das insbesondere dem Schutz des gefährdeten Großen Brachvogels dienen soll, und sei aufgrund der flachen, von Acker- und Grünlandnutzung geprägten Offenlandschaft weithin einsehbar.
Der Naturschutzbund Deutschland, Landesverband Niedersachsen, hatte deshalb eingewandt, dass die Auswirkungen des Solarparks auf Natur und Landschaft, insbesondere auf Brut- und Rastvögel, nicht ausreichend ermittelt bzw. ausgeglichen worden seien. Die Fläche sei aufgrund ihrer Bedeutung für den Vogelschutz insgesamt für einen Solarpark ungeeignet.
OVG Lüneburg: Beispielhafte Formulierungen in VEP zu unbestimmt
Wie das OVG Lüneburg nun entschieden hat, sei der Vorhaben- und Erschließungsplan (VEP) nicht hinreichend bestimmt, um die Errichtung eines oder mehrerer konkreter Vorhaben zu regeln (vgl. § 29 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 Satz 1 BauGB). Konkretisiert werden müsse nicht nur die Art der baulichen Nutzung, sondern – ebenfalls mit (begrenztem) Spielraum – auch das Maß der baulichen Nutzung.
Die Festsetzungen des „Solarpark Tiste“ mit Höchstmaßen der Modultische („4 m über gewachsenem Grund“), die Art der Unterkonstruktion („Ramm- oder Schraubfundamente“), sowie die Südausrichtung der Module und das Verbot von Nachführanlagen oder sog. Ost-West-Anlagen seien dagegen ungenügend, da der VEP nicht hinreichend sicherstellt, dass nur ein derartiges Vorhaben auch entsteht. Die Verwendung von Zusätzen wie „beispielhaft“, „indikativ“, „oder vergleichbar“ sowie „ca.“ hinsichtlich weiterer Parameter (Ausführung der Modultische, Abstand der Modulreihen, Anordnung der Modultische) eröffne solche Spielräume, sodass ein „aliud“ zu dem beabsichtigten Vorhaben entstehen könne. Das OVG vermisste weiterhin z. B. einen Mindestabstand zum Boden und sah schließlich das Planungsziel eines „grünen Solarparks“ insgesamt als nicht erreichbar an.
Für die Praxis macht die Entscheidung deutlich, dass bei der Aufstellung von Vorhaben- und Erschließungsplänen darauf zu achten ist, keine beispielhaften Formulierungen zu verwenden, sondern die Angaben so präzise zu fassen, dass kein anderes Projekt entsteht, als es der VEP und der Durchführungsvertrag zulassen.
Beachtliche Abwägungsfehler hinsichtlich des Natur- und Landschaftsschutzes
Neben der mangelnden Bestimmtheit des VEP sah der Senat beachtliche Abwägungsfehler für gegeben. Die Belange des Natur- und Landschaftsschutzes seien nicht fehlerfrei abgewogen (§ 1 Abs. 6 Nr. 7 Buchstabe a BauGB), insbesondere
- im Zusammenhang mit der optischen Störung des Landschaftsbilds und
- hinsichtlich der Beeinträchtigung des Schutzguts Boden.
1. Gravierende optische Störung des Landschaftsbildes durch PV
Das OVG Lüneburg sah durch die Planung eine gravierende Störung des Landschaftsbildes, die die Erheblichkeitsschwelle des § 14 Abs. 1 BNatSchG bei Weitem überschreite, da die Flächen ihren bisherigen Charakter als Grün- bzw. Ackerland vollständig optisch verlieren würden. Das OVG lehnte dabei insbesondere die Annahme ab, dass die bisherige Landschaftsbildeinheit (strukturreiches bzw. strukturarmes Grünland) durch die Nutzung der Flächen unterhalb der Photovoltaikmodule als Grünland bestehen bleibe und lediglich durch die Anlage ergänzt werden. Der visuelle Eindruck der flachen, offenen, knapp 54 ha großen Landschaft würde durch die grundsätzlich weithin sichtbare Anlage erheblich verändert und zukünftig von bis zu 4 m hoch aufragenden Solarmodulen geprägt und damit technisch überformt werden. Dem Gericht zufolge hätte eine solche Beeinträchtigung zumindest weitere Ausgleichsmaßnahmen erfordert, wie insbesondere eine verbindliche Eingrünung
2. Keine Ausgleichsfläche durch Grünland unter den Photovoltaikanlagen
Zudem bemängelte das Oberverwaltungsgericht die unzureichende Berücksichtigung der Funktion des Plangebiets (insb. des Bodens) als Brutgebiet für Offenbrüter. Das Schutzgut Boden sei als von Solarmodulen überdecktes Grünland, so das Gericht, als Lebensraum für gefährdete Vogelarten kaum geeignet, da
- Offenbrüter und gegenüber Vertikalstrukturen empfindliche Rastvögel die großflächig verstellten Flächen zukünftig aller Voraussicht nach ganz meiden würden,
- Greifvögel die Fläche ganz überwiegend nicht mehr zur Jagd nutzen könnten, sowie
- im Übrigen die Fläche für die Avifauna allenfalls noch einen geringen Nutzen entfalte.
Daher sei die Annahme fehlerhaft, dass die Beeinträchtigung der Funktion der Fläche als Lebensraum für Vögel dadurch ausgeglichen sei, dass sich unter den Solarmodulen Grünland entwickeln solle und zudem dessen Entwicklung aufgrund unzureichender Festsetzungen in dem Plan auch nicht gewährleistet sei.
Ausblick: OVG Lüneburg setzt hohe Ansprüche an Freiflächen-Photovoltaik
Das OVG Lüneburg lässt zwar durchklingen, dass die Wahl des Standorts als solche zwar voraussichtlich nicht zu beanstanden sei, doch bedürfe es aufgrund der gravierenden Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes und der Funktion als Lebensraum für zum Teil stark gefährdete Brut- und Rastvögel weitergehender Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen, als sie der Plan bislang vorsehe.
Insgesamt ein Beschluss, der versucht, die Maßstäbe der Windenergieanlagen auf Photovoltaikanlagen zu übertragen und dadurch (zu) hohe Anforderungen besonders bezüglich der Störung des Landschaftsbildes stellt. Erneuerbare Energieprojekte sind im besten Sinne des Wortes fortschrittlich gelebter Umwelt- und Klimaschutz. Wertend ist festzustellen, dass das Niedersächsische OVG durch die Entscheidung – nun für Photovoltaik-Freiflächen-Projekte – den Beginn einer energieversorgungsseitig verheerenden Entwicklung gesetzt haben könnte. Es bleibt zu hoffen, dass das Ministerium von Robert Habeck dies erkennt und noch vor der nächsten Bundestagswahl legislativ entgegensteuert.