Was macht eigentlich das Thema Energiewende – vor allem im Zuge der Energiekrise – und welche Innovationen werden aus Sachsen hervorgebracht, um die Energiekrise zu bekämpfen und eine nachhaltige Energiewende zu gestalten, Frau Weis?

Von LEE Sachsen e. V.

Genereller Bezug
Die Energieversorgung ist in einem grundlegenden Wandel. Statt einer bisherigen Energieversorgung „von oben herab“, indem große Kraftwerke die Versorgung sichergestellt haben, wandelt sich die Versorgung zunehmend mit dem Zubau Erneuerbarer und dezentraler Energieanlagen zu einer Versorgung „von unten herab“; indem Energie zunehmend dezentral erzeugt und verbraucht wird.

Allerdings befinden wir uns heute in der Energiekrise, in der Konventionelle Kraftwerke einen Aufschwung erleben und die Clean Energy Strategie hintenangestellt wird (vgl. Bianca von der Au, 2022). Jedoch eröffnet die Energiekrise auch neue Chancen für Betreiber:innen Erneuerbarer Energieanlagen, indem Strom aus Erneuerbaren Energiequellen wirtschaftlich an der Strombörse vermarktet werden und an Börsenerlösen partizipiert werden kann. Somit werden perspektivisch insgesamt mehr Erneuerbare an die Strombörse gebracht und eine nachhaltigere Energieversorgung über die Zeit gewährleistet. Denn das Ziel der Bundesregierung ist – nach wie vor – 2045 CO2-Neutralität zu erreichen (vgl. Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, 2022), was bedeutet, dass Clean Energy nachhaltig Bestand hat.

Aus technischer Sicht haben wir auf der einen Seite unterschiedliche Energieanlagen (Assets wie Windkraftanlagen, Photovoltaik, Batteriespeicher, Biomasse-Kraftwerke, Brennstoffzellen, Wärmepumpen etc.) der Anlagenbetreiber:innen. Auf der anderen Seite haben wir die Energiehändler:innen, die die Vermarktung an der Strombörse übernehmen. Wie kriegen wir es hin, diese Vielzahl an unterschiedlichen Anlagen, unterschiedlicher Hersteller und Leistungsklassen schnell und unkompliziert in die Börsenvermarktung zu bringen, sodass es sich aus wirtschaftlicher Sicht für alle Parteien lohnt?

Ich möchte zunächst kurz auf Energiemanagementsysteme eingehen, die heute bereits existieren und die Vernetzung von Energieanlagen ermöglichen: Virtuelle Kraftwerke. Anschließend möchte ich darstellen, welche innovativen Lösungen es im Bereich Virtueller Kraftwerke gibt und welche Potentiale sich für Anlagenbetreiber:innen ergeben, wenn sie ihre Anlagen in die Börsenvermarktung geben. Hier gebe ich einen kurzen Einblick in die Marktpreisentwicklung an der Strombörse und stelle zwei Anwendungsfälle vor, die wir als Energiekoppler realisieren.


Da perspektivisch Großkraftwerke (u. a. Kohlekraftwerke) abgeschaltet werden sollen, wird zunehmend auf Erneuerbare Energieanlagen gesetzt und damit auf Virtuelle Kraftwerke. Virtuelle Kraftwerke sind Plattformen mit Erneuerbaren und dezentralen Energieanlagen, die IT-technisch zusammengeschlossen sind und eine ähnliche Außenwirkung erzielen wie ein Großkraftwerk. Der Vorteil Virtueller Kraftwerke ist, dass Erzeuger, Speicher und Verbraucher integriert sind, sodass eine gewisse Flexibilität ausgenutzt werden kann, um z. B. Balance zwischen Erzeugung und Verbrauch in einem Netzabschnitt sicherzustellen oder die Erzeugungskapazitäten an der Strombörse anzubieten und die Energie zu vermarkten.
Heutige Virtuelle Kraftwerke haben jedoch ein Kernproblem, und zwar können nur große Anlagen wirtschaftlich integriert werden, z. B. große Windparks oder große PV-Parks. Die Wirtschaftlichkeitsgrenze liegt bei etwa 100 kW. Alle kleineren Energieanlagen, die mit der Energiewende (z. T. skalierend) zunehmen, werden i. d. R. nicht berücksichtigt.
Ursache ist, dass der Ausbau eines Virtuellen Kraftwerks mit hohen Projektierungskosten bzw. hohen initialen Entwicklungskosten verbunden ist. Die notwendigen Komponenten werden durch unterschiedliche Anbieter bereitgestellt, z. B. die zentrale Leitstelle, IT-Infrastruktur, Kommunikationsanbindung, sowie lokale Messtechnik im Gebäude.
Es ist mit hohen Implementierungskosten verbunden, um eine Energieanlage ins Virtuelle Kraftwerk zu bringen, da bei der Anlagenintegration ins VK, Installations- und Konfigurationsaufwand anfällt. Anlagenparameter müssen i. d. R. manuell in der zentralen Leitstelle erfasst und eine Betriebsüberwachung anfänglich realisiert werden.
Zudem wird nur ein Anwendungsfall umgesetzt, z. B. Direktvermarktung von EE-Anlagen. Eine kombinierte Vermarktung ist mit Technologien im Status quo nicht möglich.

Es gibt jedoch innovative Lösungen, die in Sachsen entstanden sind. Darunter fällt das Flexibilitätswerk, als eine neue Form Virtueller Kraftwerke. Hier geht es insb. darum Flexibilität, also die prognostizierte Steuerbarkeit der Energieanlage auszunutzen, um eine optimierte Vermarktung zu realisieren. Diese Technologie ist aus über 9 Jahren Forschung und einer 4-jährigen praktischen Erprobung (mit der EWE AG) entstanden. Ferner wurden Forschungsergebnisse in marktfähige Technologie überführt, welche heute bereits etwa 1 GW vernetzter Gesamtleistung vorweisen kann.
Das Flexibilitätswerk unterscheidet sich von klassischen VK insb. durch den hohen Automatisierungs- und Standardisierungsgrad. Damit wird eine schnelle und kostengünstige Vernetzung von unterschiedlichen Energieanlagen realisiert, unabhängig vom Hersteller oder der Leistungsklasse des Assets. Das Flexibilitätswerk ist dabei ein komplett flexibles System und kann für unterschiedliche Anwendungsfälle eingesetzt werden. Es ist eine Komplettlösung mit standardisierten Schnittstellen und modularem Softwareaufbau, sodass die Anpassung an den umzusetzenden Use Case schnell und unkompliziert erfolgen kann.
Durch den Einsatz der selbstlernenden Steuerbox swarmBOX, werden Kosten für die Anlagenintegration um etwa 70 % reduziert. Damit ist auch die Anforderung der fernwirktechnischen Erschließung der Anlage für den Energiehandel erfüllt.
Die Anlagen werden nicht nur vernetzt, sondern auch aktiv und komplett automatisiert gesteuert bzw. geregelt unter Berücksichtigung der Börsenpreise. Die Restriktionen auf Netzebene oder aus dem Energiehandel werden über den Koordinator swarmHUB erfasst, das Management der Flexibilitäten entsprechend umgesetzt und der Anlagenfahrplan wieder zur swarmBOX nach unten übermittelt. Diese sorgt dann lokal für die Umsetzung des Anlagenfahrplans.
Das Flexibilitätswerk erlaubt darüber hinaus eine Variabilität in der Vermarktung oder auch die Kombination der Vermarktungsoptionen zu realisieren – z. B. Eigenbedarfsoptimierung kombiniert mit Direktvermarktung oder Flexibilitätsvermarktung oder Energy Sharing.
Durch das Funktionsprinzip des Flexibilitätswerks erreichen wir folgende Eigenschaften, die für die erfolgreiche Gestaltung der Energiewende und die Überwindung der Energiekrise essenziell sind:


Skalierbarkeit, da die Vernetzung tausender Assets unabhängig ihrer Dimension möglich ist.

Abstraktion, da die Modellierung von Assets und das Design des Flexibilitätswerks unabhängig von der Anlagentechnologie (u. a. Photovoltaik, Windkraft, Batteriespeicher, Wärmepumpen etc.) ist.


Ganzheitliche Optimierung: Der Betrieb einer Anlage wird hinsichtlich der Zielfunktion (Use Case der Kundschaft) z. B. der kombinierten Vermarktung (Eigenbedarfsoptimierung kombiniert mit Energy Sharing o. ä.) ausgerichtet.


Standardisierung
, modularer Aufbau der Software, sodass der Use Case der Kundschaft bedarfsgerecht, schnell umgesetzt werden kann.


Automatisierung
: Schnelle und kostengünstige Anlagenanbindung (auch Post-EEG / KWKG), komplett automatisierter Anlagenbetrieb im Flexibilitätswerk hinsichtlich einer Zielfunktion (z. B. Börsenvermarktung oder regionaler Energieausgleich)


Flexibilitätsmanagement: Vollständige Ausnutzung der Steuerbarkeit eines Assets unter Berücksichtigung lokaler Bedarfe (für Strom, Wärme und Mobilität) sowie Restriktionen auf übergeordneter Ebene (z. B. Börsenpreisprognose) / regionaler Energieausgleich


Prognosebasiertes System
: Auf Basis der letzten 5 Tage, werden Flexibilitäten für die Zukunft vorhergesagt, für bessere Planbarkeit.

Kurz möchte ich nochmal auf die aktuelle Situation im Energiemarkt eingehen. Es ist grundsätzlich möglich, unterschiedliche Anwendungen aus der Vernetzung von Energieanlagen zu realisieren. Regionaler Energieausgleich (Energy Sharing) ist technisch bereits realisierbar, aus regulatorischer Sicht jedoch schwierig in Deutschland umzusetzen. Im Zuge der Energiekrise bieten sich allerdings Anlagenbetreiber:innen Erneuerbarer Energien andere Chancen – und zwar von aktuellen Konditionen (stark schwankenden Marktpreisen) an der Börse zu profitieren.
Vor der Energiekrise (z. B. im Januar 2021) lag der Marktpreis Solar bei 5,534 ct / kWh. Gegen Ende 2021 (Dezember 2021) ist der Preis nach oben geschnellt, auf 27,075 ct / kWh. In das Jahr 2022 (Januar 2022) sind wir bereits mit 17,38 ct / kWh reingestartet. Im August 2022 hatte der Marktpreis Solar sogar 39,910 ct / kWh erreicht. Im Dezember 2022 hat sich der Marktpreis ein Stück weit normalisiert, liegt jedoch nach wie vor bei 24,661 ct / kWh – nahezu das fünffache im Vergleich zum Januar 2021 (vgl. Netztransparenz, 2022).
Auf Grund der insgesamt gestiegenen Marktpreise (Merit-Order-Prinzip), ist es lohnenswert, Erneuerbare Energieanlagen (auch Post-EEG / KWKG weiterzubetreiben und) zu vermarkten oder kurzfristige Schwankungen auszunutzen, um zusätzliche Erlöse zu erzielen.
Hier sind einige Anwendungsfälle bzw. Use Cases, in denen das Flexibilitätswerk bereits im Einsatz ist:

→ Direktvermarktung

Einsatz als Anlagenbetreiberportal
Das Flexibilitätswerk wird zahlreich von Anlagenbetreiber:innen eingesetzt, als ein komplett flexibles und vom Vermarkter unabhängiges System. Hier haben die Anlagenbetreiber:innen ihre Anlagen in einem Portal vernetzt. Somit ist die Fernwirktechnische Erschließung der Energieanlagen und Aggregation der Flexibilitäten gewährleistet. Vom swarmHUB aus, wird eine Schnittstelle zum beliebigen Energiehändler (Direktvermarkter oder Flexibilitätsvermarkter) eröffnet. Somit ist der Anlagenbetreibende in der Wahl z. B. des Direktvermarkters komplett flexibel und kann bei Bedarf mit geringem Aufwand den Direktvermarkter-Wechsel schnell und unkompliziert vornehmen. Die bestehende Schnittstelle wird zugemacht und zum neuen Vermarkter hergestellt. Die Steuerung und Regelung des Pools aus Anlagen erfolgt komplett automatisiert.

Aggregation von Assets für Direktvermarkter
Das Flexibilitätswerk wird u. a. für die Aggregation von Energieanlagen für Direktvermarkter eingesetzt. Das Flexibilitätswerk kann dabei sowohl als ein eigenständiges Virtuelles Kraftwerk oder als Subsystem zu bestehenden Virtuellen Kraftwerken eingesetzt werden. Realisiert wurden Anbindungen von Einzelanlagen, Portalanbindungen und Anbindungen ganzer Virtueller Kraftwerke.

→ Flexibilitätsvermarktung

Im Bereich Flexibilitätsvermarktung von Batteriespeichern
Batteriespeicher eines führenden Batteriespeicherherstellers werden für die Flexibilitätsvermarktung am Spotmarkt (Intraday / Dayahead) durch DieEnergiekoppler GmbH im Flexibilitätswerk vernetzt und börsenpreis-optimiert gesteuert. Insofern die Speicher nicht lokal benötigt werden, wird eine Wochenend-, Saison- oder Komplettvermarktung realisiert. Anhand einer integrierten Börsenpreisprognose im Flexibilitätswerk werden die Speicher gezielt für den Kurzfristhandel angesteuert. Kurzfristige Preis-Spreads werden ausgenutzt, um zusätzliche Börsenerlöse zu erzielen. Bei negativen oder unattraktiven Börsenpreisen wird Energie aus dem Netz eingespeichert und erst dann wieder ausgespeichert, wenn der Börsenpreis attraktiv ist. Die Flexibilitätsvermarktung übernimmt ein namhafter Energiehändler (Flexibilitätsvermarkter). Das Bilanzkreismanagement übernimmt ein Energieversorger. – Partnerunternehmen unterliegen der Geheimhaltung.

Quellen
Bianca von der Au, ARD Börsenradio (2022, 30. Dezember), Das große Comeback der Ölkonzerne; Folge der Energiekrise: Das große Comeback der Ölkonzerne | tagesschau.de
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (2022, 07. November), Generationsvertrag für das Klima; Klimaschutzgesetz: Klimaneutralität bis 2045 | Bundesregierung
Marktwertübersicht; Netztransparenz > EEG > Marktprämie/Marktwerte > Marktwerte

Nächste Ankündigung
In diesem Abschnitt wurde der Fokus vorrangig auf Technische Vernetzungstechnologien gelegt und Anwendungsfälle mit einem nur kleinen Einblick in die Marktpreisentwicklung an der Strombörse angerissen.
Im nächsten Beitrag wird der Fokus auf Marktbetrachtung und auf die Vermarktungsoptionen gelegt. Dabei wird die Vermarktung an der Strombörse (Direkt- und Flexibilitätsvermarktung von Assets) tiefgründiger vorgestellt. Der Anwendungsfall Energy Sharing (Regionaler Energieausgleich) wird ebenfalls dargestellt und welche Anforderungen erfüllt sein müssen, um eine wirtschaftliche und skalierbare Umsetzung von Energiecommunities „Strom aus der Region für die Region“ zu ermöglichen.

Irina Weis

Co-Founder & CEO DieEnergiekoppler GmbH