Grundlast „nicht notwendig“. Neue Studie räumt mit dem größten Mythos der Energiewende auf
Von LEE Sachsen e. V.Ist die Energiewende unmöglich ohne „Grundlast“-fähige Kraftwerke? Nein, zeigt jetzt eine neue Studie: Ein Energiesystem braucht keine Kraftwerke, die 24 Stunden am Tag laufen. Wichtig sei stattdessen etwas anderes.
Eine sichere Energieversorgung ist auch ohne Grundlastkraftwerke möglich . Das ist das Ergebnis einer gemeinsamen Studie der deutschen Wissenschaftsakademien im Projekt „Energiesysteme der Zukunft“ (ESYS). Mit Blick auf die förderpolitische Schwerpunktsetzung im Bereich von Grundlasttechnologien – zum Beispiel der Förderung der Fusionsforschung – ist das Ergebnis durchaus bemerkenswert.
Die Experten von ESYS – einer gemeinsamen Initiative von acatech, Leopoldina und Akademienunion – haben die Frage der Notwendigkeit von Grundlastkraftwerken anhand von Modellierungen untersucht. Grundlasttechnologien wie Kernkraftwerke, Geothermie, Erdgas-Kraftwerke mit CO 2 -Abscheidung oder potenziell Kernfusionskraftwerke sind für eine klimafreundliche und zuverlässige Stromversorgung danach nicht notwendig.
Risiko bei Grundlast „tendenziell sogar höher“
Sicher gebraucht wird dagegen „eine Kombination aus Solar- und Windenergieanlagen mit Speichern , einem flexiblen Wasserstoffsystem, einer flexiblen Stromnutzung und Residuallastkraftwerken “, heißt es in einer entsprechenden Mitteilung. Letztere seien Kraftwerke, die nur bei Bedarf zeitweise laufen, zum Beispiel mit Wasserstoff betriebene Gasturbinenkraftwerke.
„Damit Grundlastkraftwerke zu einer substanziellen Kostensenkung führen, müssten ihre Kosten erheblich unter das heute prognostizierte Niveau fallen“, betont Karen Pittel, Leiterin des ifo-Instituts und stellvertretende Vorsitzende des ESYS-Direktoriums. „Tatsächlich schätzen wir Risiken für Kostensteigerungen und Verzögerungen bei Grundlasttechnologien tendenziell sogar höher ein als beim weiteren Ausbau der Solar- und Windenergie.“
„Es werden große Mengen Strom gebraucht“
Im Gespräch mit Table.Briefings hatte der Energiesystem-Experte Hans-Martin Henning , Leiter des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme, einige Ergebnisse der Studie bereits im August vorweggenommen.
Mit Blick auf ein Akademienpapier zu Kernfusion hatte Henning damals die Frage, ob grundlastfähige Kraftwerke auch in ein zukünftig hochdynamisiertes und flexibilisiertes Energiesystem passen, mit „Ja“ beantwortet. „Es werden langfristig große Strommengen gebraucht, um Wasserstoff und Wasserstoff-Derivate herzustellen, zum Beispiel für die chemische Industrie, für den Luftverkehr, die Seeschifffahrt und auch für flexible Stromerzeugung im Zusammenspiel mit erneuerbaren Energien“, sagte Henning.
Auch die neuerliche Studie kommt zu dem Schluss, dass Grundlastkraftwerke integriert werden könnten. Sie müssten dafür aber wettbewerbsfähig und wegen ihrer hohen Investitionskosten fast durchgehend in Betrieb sein , um sich zu rentieren. „In den nächsten 20 Jahren in großem Umfang realisierbar sind wahrscheinlich am ehesten die Gaskraftwerke “, schätzen die Experten. Gemeint sind dabei neuartige Gas-und-Dampf-Kombikraftwerke für Erdgas mit anschließender Kohlendioxid-Abscheidung.
Von Tim Gabel